Mies son Tropensonntag im November – Gruß vom Schopenhauer 

Es ist schon wieder November, ein Sonntag, sechs Wochen vor Weihnachten und, dem Klimawandel sei gedankt, natürlich ist es nicht kalt draußen, sondern eher tropisch. Schnee wird es wohl nie wieder geben in dieser Region, vermutlich. Nicht so schlimm, finde ich. Wintersport ist ohnehin nicht meins. Also mache ich mich nun mehr bei Sonnenschein auf in die Stadt, zum Fluss „unter Menschen“ wie es scheinbar ein Muss ist, an Wochenenden.

Ich persönlich ziehe ja  Einsamkeit vor dem Bildschirm mit den passsenden Accessoires wie Kaffee, Eierlikör und Gebäck vor. Allein mit meinen Gedanken über die Weltpolitik, SUV, AfD, GNTM, Florian Silbereisen, meiner Kindheit, meinen Feinden. Das kann ausgesprochen inspirierend sein. Aber bei „schönem“ Wetter höre ich immer eine Stimme im Kopf, leise, nachdrücklich, bekannt, denn sie klingt nach meiner Mutter und die sagt: „Man müsste ja mal rausgehen!“

Und schon überfällt mich diese leichte Panik. Ja, ich entwickele langsam eine echte Soziophobie, denn manche Leute da draußen machen mir Angst. Die sind immer so „happy ’n stückweit“ oder sind so busy im total coolen, veganen Café. Mit dabei die Kinder auf kiddie-boards an Geschwisterkinderwägen gekoppelt. Mal ehrlich, können die nicht selbst laufen? Oder man findet die kleinen Hosenscheißer auf Rollern mit drei (!) Rädern – bloß nicht hinfallen. Überall wo man hinschaut wird gepampert. Bloß jedes Unglück vermeiden, dann lernen die Nachkommen nichts aus kritischen Situationen, füllen aber später die Selbsthilfegruppen und sorgen dafür das die Psychiater immer was zu tun haben. Aber mal ehrlich, was machen die denn später, wenn es wirklich ernst wird im Leben?

Die nächste Beobachtung erfüllt mich fast mit Verzweiflung, denn überall, wo ich hinschaue, geheime Geheimtipps und kultiger Kult.  Das passiert eben, wenn sich der Kim Kardeshian-Style mit dem mittleren Management einer Großbank paart. Schon gemerkt: ich mag weder Kinder noch aufgesetzte Weltoffenheit. Und Pseudo-Kreativität ist mir ebenfalls ein Gräuel. Fortgepflanzt wird sich doch ohnehin nur noch mit social gefreezten Zellen. Das Ergebnis liegt dann gleichförmig verpackt in einen Drillingskinderwagen.

Zwei Asiaten versperren mir ad hoc den Weg zum Fluss, natürlich müssen die Fotos machen, was sonst? Von jeden Denkmal dieser Stadt, der Skyline und der pittoresken Altstadt. Und dann eilig, eilig, hüpfen sie wieder davon auf ihren kleinen, emsigen Füßchen. Das Servile nervt. Aber ich lasse sie dann doch in Frieden ziehen – meine Gedanken.

Als nächstes kommen mir zwei Frauen entgegen in Gesichtern, die einiges verraten, stelle ich schnell fest. Spröde Haut, reptilienartig, scheinbar zu viel Rotwein am Abend vorher sowie hier und da eine Schlaftablette gegen den Frust eingeworfen. Oder einfach die letzte Häutung vergessen? Ihr wisst schon, alle sieben Jahre steht eine an, sagt man so. Die sind bestimmt alleinerziehend, urteile ich schnell. Und schon habe ich das Leben der anderen vor meinem inneren Auge. Will ich das? Was machen die überhaupt hier, auf meinem Weg, mit meiner Luft?

Aber sonst, meine ich, bin ich freundlich.

„All unser Übel kommt daher, dass wir nicht allein sein können!“ sagte einst der chronisch miesgelaunte Schopenhauer, wohl zu seinem omnipräsenten Pudel. Da haben sich heute bei dem Wetter aber viele von denen zusammengetan, grummele ich stumm in meinem Kopf. Und schon achte ich nicht mehr darauf, wo ich genau hinlaufe und trete in einen frischen Haufen. Der weiße Pudel vor mir bleibt kurz stehen und schaut mir tief in die Augen.

„Jaja“, sag ich, „du und ich, wir beide wissen Bescheid.“