…noch, in einem linksgrünversifften Stadtteil der sich gentrifizierendenen Großstadt, ein Wochenmarkt. Ein Magnet für die insta-familys. Sehen und gesehen werden.
Immer an Samstagen fräsen sich dann Autos, große Autos, durch pitoreske Straßen und suchen Parkplätze. Freilich in Konkurrenz mit Scootern, Lastenrädern, vielen Lastenrädern. Und es zeigt sich, wie die weltoffene community mit dem Rest umgeht. Heute: der Radler auf dem edlen bike mit Hipster-Bart & Glatze, vielen Tattoos und Statement-Shirt trifft einen alten Menschen mit Rollator auf seinem Radweg an.
Und da sich das nicht ziemt, muss man, mangels Hupe, eben klingeln. Laut klingeln und das, obwohl ausreichend Platz zum Überholen vorhanden ist.
Man wird ja sonst nicht bemerkt.
Und das wäre schon nicht nur nicht nice, sondern echt weird.
… dem lang geplanten Urlaub am Meer wird es Zeit, zu schauen: wie geht’s mir? Mal überlegen…
Alte Fregatte sucht Hafen?
In die Jahre gekommene Kogge fleht um geistige Ladung zum späteren Löschen?
Eleganter Schoner bittet um Zugang in Premiumwerft?
Knorren finde ich ja auch toll. Haben mit den Wikingern England erobert.
Oder bin ich mittlerweile ein Einbaum?
Es ist so, während fast zwei Jahren stürmischer See, unterbrochen von langen Flauten, bin ich nun ohne nennenswerte Ladung im mentalen Raum, auf der Suche nach Inspiration, neuen Gedanken, schönen Bildern.
Ich lasse mich treiben! Mit der Galionsfigur am Bugspriet vorwärts zu neuen Ufern.
… du bist mein Held, das muss hier mal festgehalten werden. Wir sind ja unter uns.
Du und deine Kumpels, ihr seid der Traum meiner schlaflosen Nächte. Ich fühle Sehnsucht und ein tiefes Begehren. Christian, ich will dich. Ich will dich fesseln und auf dem heißen Pflaster meiner Großstadt festkleben.
Aber nicht in einer Fußgängerzone, die sind ja auch sowas von überflüssig, nein. Ich möchte gern dein (k) nackiges Hinterteil an einem Samstag auf einer flächenversiegelten, aus Verdichtung entstandenen Zufahrtsstraße, die ins kochendheiße Stadtzentrum führt, fixieren. Rechts und links kannst du auf parkende SUV mit laufenden Klimaanlagen schauen und desweiteren dem munteren Suchen nach Stellplätzen der anderen Verbrenner beiwohnen. Niemand stört dich. Keine Radwege weit und breit. Fährt auch niemand. Braucht man auch nicht. Da bin ich ganz deiner Meinung.
Und weil du ja bereits im *Bonding* bist und bestimmt schon ganz high von den Abgasen, würde ich dich gern mit den überflüssigen Verkehrsschildern „Tempo 120“ vermöbeln. Da du auf dem Hintern klebst, gibt es halt rechts und links an die Backen.
Komm schon Krischan, da stehste doch drauf.
Was ein Spaß! Lass uns anfangen. Mir ist schon ganz heiß.
Sich nicht aufregen, sondern ins Haus verkriechen? Oder mit dem Haus unterwegs sein? Fühler vorsichtig ausstreckend?
Beides vielleicht? Dabei Spuren und keine Narben hinterlassen. Also bitte nix mit Blut oder Schleim. Kriechsohle? Hey, ich bin keine Schnecke. Eher das Gegenteil. Ich zwinge andere dazu, sich zunächst gegen ihren Willen, in Bewegung zu setzen.
Sorry dafür!
Ich fahre die Fühler ein und schleiche jetzt zum bosnischen Frühstück.
…großer Gefangenenaustausch in die Freiheit. Mörder gegen Kritiker von Autokraten. War überall zu lesen, zu sehen, zu hören. Eine Agentengeschichte. Happy End für einige.
Wir haben uns dann auch ausgetauscht.
Eingesperrte Gefühle, verzerrte Wahrnehmungen, alles mal Tauschen.
Alle sollten das mal machen. Mit Worten, mit Liebe, in Taten… Also friedliche Taten und sich dabei in Stille austauschen.
… wenn ich in den Himmel – oder wie jetzt gerade auf dem Rücken liegend an die Zimmerdecke – starre/schaue/sehe?
Dabei auf Inspiration warte, also auf den einen Satz? Währenddessen meine Gedanken sortiere wie einst Aschenputtel: Gute ins Töpfchen und die schlechten in den Mülleimer?
Was mache ich aus den guten Gedanken an diesem Tag?
Nun weiß ich es: ich mache daraus einfach einen Kuchen. Bunt und mit viel Schokolade.
Dabei bin ich das gar nicht. Also boomerisch. Aber nah dran. Ich will und kann nicht begreifen, dass ich älter werde. Und stelle fest, es ist wohl ab jetzt zunehmend mein Thema.
Ich hebe den Altersschnitt beim Festival im Park und senke ihn im Programmkino für arthouse-Filme wie gestern. Ich gehe im Schlafanzug zum Bäcker und verabrede mich mit E. zum „Drogenkonsum“. Unter uns, das Zeug war auch zu alt zum Wirken. Trage große Kopfhörer, höre Spotify und – versprochen – nicht nur die 80er, 90er und das Beste von heute. Wer denkt sich bloß so n Scheiß-Spruch aus?
Fühle mich so dazwischen und habe den Kipppunkt zur Lächerlichkeit noch nicht erreicht, vielleicht gibt es den ja auch nicht?
Vor dreißig Jahren sind wir in Lederjacken gegen Nazis auf die Straße gegangen. Wobei der Begriff Nazi sehr dehnbar war. Jeder systemkonforme Mensch konnte in dieser Kategorie landen. Nun ja, gemessen daran, fällt mein Umfeld auch unter dieses „naming“. Fast alle haben Eigentum und feste Jobs. Attribute des Erwachsenseins. Und trotzdem bin ich innerlich 17 Jahre, bin die beste Freundin der blauen Elise und der Muppets. Anarchie mit Furzkissen und Lachsack.
Omas & Opas gegen Rechts? Nein Danke! Ihr braucht einen anderen Namen.
Böse müsst ihr sein, ihr BOOMER. Anarchisten. Reißt die Infostände der AfD bei der nächsten Wahl mit euren Rollatoren um, weil ihr zufällig das Gleichgewicht verloren habt. Das glaubt man doch sofort.
Schließt euch fest zusammen. Hat doch „68“ auch geklappt.
Und was ist mit mir? Ich bin halt dazwischen. Zu alt für den schwarzen Block und zu jung für Gehhilfen.
In Gießen, der Stadt, da geht man gern spazieren, Doch trotz Navi kann man sich leicht verlieren. Die Straßen verwinkelt, die Wege verschlungen, Man fragt sich oft, wo hat das angefangen?
Doch plötzlich, wie aus dem Nichts, ein Café, Vegan und freundlich, das tut nicht weh. Mit einer Freundin sitzt man dort und lacht, Vergisst die Zeit, die Sorgen, die Nacht.
Die Tassen klirren, der Kaffee duftet fein, Man fühlt sich wohl, hier kann man sein. Die Welt da draußen, sie bleibt einfach stehen, In Gießen kann man das Leben so sehen.
… in die Wildnis. Also Harz, ein Mittelgebirge in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und nicht weit von meinem ursprünglichen Nistkasten entfernt.
An alles hab ich gedacht, Mückenspray, Wasser, Sonnencreme und ganz extrem wichtig: Powerbank sowie das mittlerweile nabelgleiche Ladekabel nebst Kopf. Letzteres in ständiger Panik des Vergessens in die Tasche gestopft.
Jedoch, oh Schreck! Ich hab echt die überlebenswichtigen *Petitessen* vergessen.
Streichhölzer und Taschenmesser.
Was, wenn mich dort in der Provinz gelebte Dystopie erwartet? Könnte ja sein. Und dann?
Auf der Suche nach Geschichten bin ich zu „Malka Mai“ von Mirjam Pressler gekommen.
Nach langer Zeit hat mich kein Buch mehr so gefesselt, gebannt und emotional berührt. Es ist die Geschichte eines sieben Jahre alten, jüdischen Mädchens, das auf der Flucht vor den Deutschen in Polen während des 2. Weltkrieges – von Mutter und Schwester getrennt – jeden Tag um das eigene Überleben kämpft.
Verlassen.
Allein.
Hunger.
Kälte.
Erbarmungslosigkeit.
Traumatische Erlebnisse im Ghetto, auf der Straße. Immer in Lebensgefahr.
Ein Kind, ein Mädchen, sieben Jahre alt.
Ähnliches passiert auch jetzt jeden Tag, es spielt keine Rolle wo genau.
Es sind Kinderschicksale, die um uns herum passieren. Augen auf!